Abdul Ghafur Brechna
(1907–1974)
„...Abdul Ghafur Brechna pflegt in Afghanistan den ihm eigenen, im Studium und freien Schaffen erarbeiteten Malstil, den man mit einer Wortneuschöpfung als „afghanischen Impressionismus“ bezeichnen kann. Dabei steht er in der Tradition seines Berliner Lehrers Max Liebermann (1847-1935), der folgerichtig den Weg vom Realismus zum Impressionismus ging. In den meisten Werken zeigt Brechna einen „impressionistischen Realismus“. Die Inhalte und Motive für sein Schaffen suchte und fand er in den Bazaren Kabuls und auf seinen Reisen im Lande. In den aus direkter Beobachtung und aus der Vorstellungskraft entstandenen Bildern ging es ihm nicht um das Festhalten eines flüchtigen Augenblickes oder einer reizvollen Stimmung, sondern um das Bleibende und allgemein Gültige eines Eindrucks. Diese, dem Orient eigene Haltung, unterscheidet Brechnas Werk von dem westlicher Maler, die sich vielleicht ähnlicher Stilmittel bedienten...“ Aus dem Vorwort des Buchs „Der Basar von Kabul - Schnittpunkt der Kulturen“ von Roland Steffan

Abdul Ghafur Brechna (Breshna) war einer der bedeutendsten Künstler Afghanistans. Sein Schaffen als Maler, Komponist, Musiker, Regisseur und Dichter hatte einen großen Einfluss auf die Entwicklung und Erneuerung der Kunst und Kultur Afghanistans. Abdul Ghafur Brechna ist der erste afghanische Künstler des 20ten Jahrhunderts, in dessen Schaffen sich europäische Einflüsse (Impressionismus, Expressionismus) mit der traditionellen „Volkskunst“ des Landes verbinden.
Brechna ist in Kabul am 10. April 1907 geboren. Er besuchte die Habibia - Schule in Kabul und wurde 1921 als Vierzehnjähriger vom damaligen König Amanullah mit einer Gruppe junger Studenten nach Deutschland geschickt, um Ingenieurswissenschaften und Medizin zu studieren. Brechna wollte jedoch Maler werden und studierte Malerei sowie Lithografie an den Kunstakademien in Berlin (bei Max Liebermann), München und Buchdruck in Leipzig und Barmen. Während dieser Zeit ist er von der europäischen Kulturszene und dem Leben im Berlin der 20er Jahre inspiriert. Er befasste sich intensiv mit der klassischen europäischen Musik, Theaterkunst und Literatur.
Brechna versucht seine Eindrücke und Wissen aus Europa in der archaischen Tradition Afghanistans umzusetzen. Er möchte der Kunst und Kultur des Landes neue Impulse geben, sie erneuern, ohne ihre Eigenart zu verändern. Der Anspruch an seine Kunst ist nicht elitär und sollte von jedermann zu verstehen sein.
Brechnas künstlerische Revolution in Afghanistan
Vom Einfluss westlicher Maltechniken bis zu internationalen Anerkennungen
Brechna konnte zunächst als Lehrer und Direktor der Kunstgewerbeschule 1930 - 1939 in Kabul ein neues Kunstverständnis vermitteln sowie neue Mal- und Zeichen-Techniken einführen. Maltechniken mit Aquarell, Öl und Pastell sowie Arbeiten mit menschlichen Modellen waren bis dato in Afghanistan unbekannt. Zu seinen Schülern in der Malerei gehören Prof. Ghaussuddin, Prof. Khair Mohammed, Hafizullah, Abdurrab und andere.
In seinen Bildern, Porträts, Stadt- und Landschaftsbildern, Straßenszenen und Karikaturen versuchte er die Farbigkeit sowie die Kargheit, die Tradition und die Seele des Volkes näher zu bringen (afghanischer Impressionismus).
Brechna porträtierte auch berühmte Persönlichkeiten der Zeitgeschichte Afghanistans (Dichter, Philosophen und Herrscher) aus alten Beschreibungen und mit eigener Phantasie. Diese Bilder wurden von einer Gruppe von Historikern begutachtet und dienten in den Geschichtsbüchern und an den Schulen des Landes zu einem besseren Geschichtsverständnis.
Brechna ́s Bilder wurden in verschiedenen Städten Afghanistans ausgestellt (1940-1972), mehrere Male in Kabul unter anderem im Goethe Institut (1959 u. 1969) und im Rotary Club Kabul (1971). Ferner fanden Ausstellungen in Indien (Delhi 1954 u. 1974), USA (New York, 1957); Ägypten (Kairo 1956); Russland (Moskau 1965 u. 1973); Iran (Teheran, 1953 u. 1966); China (Bejing, 1967); Bulgarien (Sofia 1967); Frankreich (Cannes 1971) und Uzbekistan (Dushambe 1972) statt.
Die Ausstellungen erfolgten auf offiziellen Einladungen der jeweiligen Staaten.
„Europäische Einflüsse, die nicht nur in seinen Werken überdeutlich werden – mitunter glaubt man einen Brücke-Maler oder Spätimpressionisten vor sich zu haben – sondern die Brechna auch als Direktor der Kunstgewerbeschule in Kabul von 1930 bis 1939 an Schüler wie Kair Mohammed oder Hafizullah weitergab.“ Stuttgarter Zeitung vom 23.11.2002
Brechnas prägender Einfluss auf Afghanistans Kultur und Bildung
Vom Verlagswesen bis zur Revolutionierung der afghanischen Musiklandschaft
Brechna war als Generaldirektor der staatlichen Druck- und Verlagsanstalt Afghanistans (1939-43) für die Redaktion und Gestaltung der Zeitungen, Zeitschriften und Jahrbücher des Landes zuständig. Durch die von ihm eingeführte Farbdrucktechnik und durch die Neustrukturierung des Inhaltes waren die Zeitschriften in Afghanistan und im Iran sehr begehrt.
Da deutsche Lehrer in der Zeit des 2. Weltkrieges das Land verlassen mussten, übernahmen Brechna und andere in Deutschland ausgebildete Afghanen daraufhin ehrenamtlich den Unterricht der deutschen Sprache und anderer Fachfächer. Zur dieser Zeit (1940) verfasste und illustrierte Brechna mit seiner Frau Marguerite ein deutschsprachiges Lehrbuch für die Schüler der Nedjat-Oberschule und der Mädchenschulen. Gedruckt und vertrieben wurde das Buch von dem staatlichen Verlag, dessen Direktor Brechna war.
Brechna bereiste das ganze Land und studierte die unterschiedlichen Volksbräuche und Lebensweisen und sammelte die Volksmelodien. Als ein Förderer der afghanischen Volksmusik hat er als Musikdirektor und später als Leiter des Radio Afghanistan (1943-1953) Musikgruppen aus allen Provinzen des Landes eingeladen. Es wurde ein Rundfunkorchester gegründet, das typische lokale Musikinstrumente mit europäischen Instrumenten kombinierte.
Es wird ihm heute weithin zugeschrieben, die afghanische Volksmusik professionalisiert zu haben. Die verschiedenen Musikrichtungen konnten das erste Mal durch Radio Kabul über das ganze Land, Pakistan, Iran und Uzbekistan ausgestrahlt werden.
1940 gründete er die erste Musikschule Afghanistans.
Abdul Ghafur Brechnas Beitrag zur afghanischen Kunst und Kultur
Musik, Drama und kulturelle Erneuerung
Als Generaldirektor unterstützte Abdul Ghafur Brechna junge Musiker und Sänger, darunter Ustad Mermon Parwin, die erste afghanische Frau, die jemals in einer öffentlichen Sendung sang. Sie war auch die erste Frau, die jemals den Ehrentitel „Ustad“ erhielt, was „bedeutende Expertin“ bedeutet. Brechna setzte sich stark dafür ein, afghanischen Frauen zu mehr Bürgerrechten und einem stärkeren Halt im öffentlichen Leben zu verhelfen.
Es ist Brechnas Verdienst, dass er nicht nur junge Menschen zu einer Karriere in Kunst und Musik unterstützte, die damals noch in schlechtem Ruf waren, sondern auch versuchte, soziale und Klassenbarrieren zu überwinden, indem er mit Musikern aus Kharabat, einem verarmten Musikerviertel, zusammenarbeitete. Laut dem Musikethnologen John Baily „war Radio Afghanistan eine Bastion der Moderne, und seine Institution verbesserte den Status von Musikern und Sängern, Männern und Frauen, Profis und Amateuren erheblich.“
Brechna war selbst ein guter Musiker und Komponist vieler Lieder. Seine eigenen Kompositionen und Lieder werden immer noch von vielen afghanischen, Indischen u. Iranischen Sängern gespielt. Zu seinen Schülern gehören Gulahmade Schifta, Zaland, und andere.
1973 komponierte er die Nationalhymne Afghanistans. Eine von Brechnas berühmten Kompositionen ist „Mudate ke Shod ke tora“ von 1966–67, das mit seiner Erlaubnis in einem indischen Film interpretiert und aufgeführt wurde. Er bat nur darum, dass das Lied „einem afghanischen Komponisten“ zugeschrieben wurde. Seine Komposition „Ai Negare man“ wurde von seinem ehemaligen Schüler, dem renommierten Sänger Zaland, uraufgeführt.
Brechna war berühmt für seine Dramen und Schauspielstücke, die er für Radio und Theater schrieb. Zwischen 1940- 1953 schrieb er über 20 Theater und Schauspiele, führte selbst Regie und malte die Bühnenbilder. Sein bekanntestes und populärstes Stück „ Lala Malang“ wurde 1947 uraufgeführt.
Das Vermächtnis von Abdul Ghafur Brechna
Vom sozialkritischen Karikaturisten bis zum Familienvater
Er ist der geistige Schöpfer von Rajab Khan, einer Figur die bis 1972 durch kritische Bemerkungen und bissigen Humor das Zeitgeschehen und die Rückständigkeit des Landes kommentierte und kritisierte. Leider sind nur etwa 100 dieser Karikaturen der Tageszeitung Karavan als Drucke der Zeitung aus den Jahren 1966-1972 im Familienbesitz.
Brechna emeritierte 1962, blieb aber als Kulturb erater des Kultus- und Informationministeriums bis zu seinem Lebensende. Für seine großen Verdienste um die kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Afghanistan wird Brechna 1968 von Heinrich Lübke mit dem großen Verdienstkreuz mit Stern der BRD ausgezeichnet.
Abdul Ghafur Brechna verstarb am 4. Januar 1974 in Kabul/ Afghanistan. Er hinterlässt eine größere Zahl von Aquarellen, Ölbildern, Pastellen, Brandmalerei auf Holz, Plastiken, Essays über Volksbräuche, Bildbeschreibungen alter afghanischer Meister, Gedichte, Kompositionen, Dramen und Komödien.
Abdul Ghafur Brechna und seine Frau Marguerite Brechna hatten 2 Söhne, Abdul Habib Brechna (geboren in Deutschland und verstorben 2012 in der Schweiz) und Abdullah Breshna (geboren in 1933 in Kabul Afghanistan und verstorben 2021 in Deutschland). Leider sind 3 andere Söhne von Abdul Ghafur und Marguerite Brechna sehr früh bei der Geburt und Kindesalter verstorben. Sie hatten 4 Enkelkinder Zahra Breshna, Abdul Habib Breshna, Daoud Breshna (leider 12.09.2013 verstorben) und Jussof Breshna. Sie hatten 5 Urenkel, die aber erst nach ihrem Tod geboren wurden.
Das kulturelle Vermächtnis der Familie Breshna
Ein Vermächtnis durch Zeiten der Veränderung
Marguerite Breshna, die über 50 Jahre an der Seite ihres Mannes in Afghanistan große Dienste für die Bildung und Ausbildung des Landes vollbracht hatte, verstarb im Februar 1994 in Karlsruhe als eine Fremde im eigenen Land.
Bei der Flucht seines Sohnes Abdullah mit dessen Familie 1980 aus Afghanistan konnten die Bilder AG Brechna ́s nicht mitgenommen werden, da die Flucht geheim bleiben musste. Nur durch die Hilfe von Freunden und der deutschen Botschaft konnte ein Teil der Werke gerettet werden. Es ist seither das Anliegen der Familie, das Werk von AG Brechna durch Ausstellungen, einem Kalender mit seinen Bildern und einer CD mit seinem musikalischen Werk lebendig zu halten.
Im Jahr 2021 stiftete Abdullah Breshna die in seinen Besitz befindlichen Werke von Abdul Ghafur Brechna der gemeinnützigen Breshna Foundation for Culture, vorbehaltlich bestimmter Bedingungen für ihre zukünftige Verwendung und Bewahrung.
Aufgrund der Umbrüche der letzten vierzig Jahre befinden sich immer noch viele Werke Brechnas in Afghanistan. Über dreißig seiner Gemälde sind in der National Art Gallery of Afghanistan (Negarestan Meli) in Kabul ausgestellt, und viele seiner Porträts bedeutender historischer Persönlichkeiten im National Museum and Archives of Afghanistan in Kabul. Weitere Werke befinden sich unter anderem im Archiv von Radio Afghanistan, der staatlichen Druckerei und dem Kulturministerium in Kabul. Sie sind aber noch nicht systematisch erfasst worden. Rund zweihundert Werke befinden sich im Besitz der Breshna Foundation for Culture. Aber viele andere sind verschollen oder ihr Aufenthaltsort unbekannt.